Die vorliegende Arbeit wurde im Rahmen des Seminars
"Einführung in die Medien- und Kommunikationstheorie 2
(Bewegtbildwissenschaft- Film als ästhetische Praxis)"
bei: Prof. Dr. Marcus Stiglegger erstellt.
Muenster School of Design.
Schulze, Benno (2022)
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Einleitung
Zusammenfassung der narrativen Ebene
Analyse der Fügung von Farbelementen als Teil der Erzählstruktur
Choose Life - or don´t – Farbsymbolik im Kontrast
Sättigung und Verfall
Fazit
Literatur-, Quellen- und Abbildungsverzeichnis
Im Rahmen dieser Hausarbeit wird der Film Trainspotting (1996) auf die Bedeutung von Farbelementen als unterstützendes und leitendes Element der narrativen Ebene untersucht.
Wie können diese in den Film einfließen, ohne künstlich in den Vordergrund zu treten?
Welchen Mehrwert bietet die Kunstform des „Visual Vernacular“ für den Film?
Wie können Charaktere, Empathie und geistige Verfassung visuell kommuniziert werden?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, werden zunächst die in Bezug stehenden theoretischen Grundlagen der Farbtheorie geklärt, um anschließend szenenanalytisch die in Trainspotting verwendeten Stilmittel herauszuarbeiten.
"It’s a good place when all you have is hope and not expectations.”
- Danny Boyle
Der Film Trainspotting (1996) spielt vornehmlich in Edinburgh, Schottland – genauer gesagt im Stadtteil Leith, dem ärmsten Viertel der Stadt – zur Zeit der späten 1980er-Jahre. Die Exposition besteht in einer Verfolgungssequenz zwischen Spud, Renton und mehreren Sicherheitsmitarbeitern, begleitet von Rentons Stimme aus dem Off, der in einem satirischen Monolog die westlichen Vorstellungen eines vermeintlich idealen Lebens kritisiert.
“ChooseLife. Choose a job. Choose a career. Choose a family.
Choose afucking big television, choose washing machines, cars, compact disc
players and electrical tin openers. Choose good health, lowcholesterol,
and dental insurance. Choose fixed interest mortgagerepayments. Choose a starter home. Choose your friends. Chooseleisurewear and matching luggage. Choose a three-piece
suit onhire purchase in a range of fucking fabrics. Choose DIY and wondering
who the fuck you are on Sunday morning. Choose sitting on thatcouch watching
mind-numbing, spirit-crushing game shows, stuffingfucking junk food into your mouth. Choose rotting away at the end ofit all, pissing your last in a miserable home,
nothing more thanan embarrassment to the selfish, fucked up brats you spawned toreplace yourselves. Choose your future. Choose life… But why wouldI want to do a thing like that?
I chose not to choose life. Ichose something else. And the reasons? There are no reasons.
Whoneeds reasons when you’ve got heroin?”
Die Kernaussage lautet: Das bürgerliche Lebenskonzept kommt für Renton dem Tod gleich (vgl. Murray, 2021, S. 51). Darüber hinaus sieht er die Realität als eine, in der der Mensch keine Macht über die Umstände und Gründe hat, die ihn in die Welt hineintragen (vgl. Northey). Sein Gegenvorschlag: Statt Opfer einer bedeutungslosen, profanen Existenz zu werden, solle man sich dem Heroin zuwenden (vgl. Evans, 2020) – beziehungsweise dem, wofür es steht: Rausch und Freiheit. Trainspotting erzählt somit von einer intimen Zerrissenheit zwischen zwei Welten – einem durch Heroin geprägten Nihilismus auf der einen Seite, und der Erkenntnis, ethisch für sich selbst einstehen und Verantwortung übernehmen zu müssen, auf der anderen (vgl. Evans, 2020). Für Renton ist es zunächst offensichtlich, den Weg der „Freiheit“ – also des Heroins – zu wählen, allein schon, um dem Leid des Lebens entkommen zu können (vgl. Evans, 2020).
Renton, Protagonist und Erzähler, ist ambivalent zu bewerten. Da der Film sowohl narrativ als auch visuell aus seiner Perspektive erzählt wird, erfährt der Rezipient zwangsläufig ein gewisses Maß an Sympathie und Verständnis für seine Handlungen – nicht zuletzt durch seinen Kampf mit der Heroinabhängigkeit und dem negativen Einfluss seines sozialen Umfelds. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass Renton nicht nur ein Opfer ist, sondern selbst destruktiv auf seine Freunde einwirkt.Spud stellt den friedlichsten Teil der Gruppe dar, der aufkommenden Problemen häufig mit schweigender Zustimmung aus dem Weg geht.
In der nachfolgenden Sequenz werden weitere Figuren der Gruppe eingeführt. Begbie, einer der wenigen Charaktere, die kein Heroin konsumieren, birgt ein enormes Gewaltpotenzial. Er fällt immer wieder sowohl verbal als auch körperlich über Fremde und seine Freunde – insbesondere Renton – her. Auch Sick Boy wird als klarer Antagonist inszeniert, sowohl aufgrund seines schädlichen Einflusses auf Renton als auch durch seinen ausgeprägten Narzissmus.
Dennoch zeigen sich auch bei ihm gelegentlich emotionale, verletzliche Seiten, insbesondere im Kontakt mit Renton.Alle treffen sich regelmäßig bei „Mother Superior“, der für die Gruppe eher als Drogendealer denn als Freund fungiert. Seine Wohnung ist stark verwahrlost; auch Allison wohnt dort mit ihrem Baby. Nach dem Erwachen aus einem Heroinrausch entscheidet sich Renton zu einem Entzug. Vorerst drogenfrei besucht er Tommy, neben Begbie der einzige aus dem Freundeskreis, der kein Heroin konsumiert. Tommy stellt den gesunden, moralisch gefestigten Teil der Gruppe dar: Er lügt nicht, betrügt nicht, hat eine feste Anstellung sowie eine Partnerin, betreibt regelmäßig Sport und versucht, Renton vom Heroin fernzuhalten. Durch Zufall entdeckt Renton ein privates „Sextape“ von Tommy und seiner Freundin, das er sich heimlich ausleiht, indem er es in einer anderen DVD-Hülle versteckt.
Seinen Sexualtrieb wiederentdeckt, geht Renton mit einigen seiner Freunde in einen Club, wo er Diane begegnet. Ihre Selbstsicherheit und Ausstrahlung faszinieren ihn, was schließlich – trotz ihrer ihm unbekannten Minderjährigkeit – zum Geschlechtsakt führt. Am nächsten Morgen, nach Bekanntwerden ihres Alters, möchte Renton den Kontakt abbrechen, woraufhin Diane ihm mit einer Anzeige droht, sollte er sich tatsächlich zurückziehen.
Zur gleichen Zeit versucht Tommy, das von Renton entwendete Sextape wiederzufinden. Als es unauffindbar bleibt, reagiert seine Freundin mit einem Nervenzusammenbruch und verlässt ihn.
Infolge dieser Ereignisse beschließen Renton, Spud und Sick Boy, erneut Heroin zu konsumieren. Auch der von der Trennung niedergeschlagene Tommy lässt sich – nach Zureden durch Renton – zu seinem ersten Schuss verleiten.
„ I want to try it, Mark. Youre always going on about how,
like, it´s the ultimate hit and that. Better than sex!“
Die Kernaussage lautet: Das bürgerliche Lebenskonzept kommt für Renton dem Tod gleich (vgl. Murray, 2021, S. 51). Darüber hinaus sieht er die Realität als eine, in der der Mensch keine Macht über die Umstände und Gründe hat, die ihn in die Welt hineintragen (vgl. Northey). Sein Gegenvorschlag: Statt Opfer einer bedeutungslosen, profanen Existenz zu werden, solle man sich dem Heroin zuwenden (vgl. Evans, 2020) – beziehungsweise dem, wofür es steht: Rausch und Freiheit. Trainspotting erzählt somit von einer intimen Zerrissenheit zwischen zwei Welten – einem durch Heroin geprägten Nihilismus auf der einen Seite, und der Erkenntnis, ethisch für sich selbst einstehen und Verantwortung übernehmen zu müssen, auf der anderen (vgl. Evans, 2020). Für Renton ist es zunächst offensichtlich, den Weg der „Freiheit“ – also des Heroins – zu wählen, allein schon, um dem Leid des Lebens entkommen zu können (vgl. Evans, 2020).
Renton, Protagonist und Erzähler, ist ambivalent zu bewerten. Da der Film sowohl narrativ als auch visuell aus seiner Perspektive erzählt wird, erfährt der Rezipient zwangsläufig ein gewisses Maß an Sympathie und Verständnis für seine Handlungen – nicht zuletzt durch seinen Kampf mit der Heroinabhängigkeit und dem negativen Einfluss seines sozialen Umfelds. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass Renton nicht nur ein Opfer ist, sondern selbst destruktiv auf seine Freunde einwirkt.Spud stellt den friedlichsten Teil der Gruppe dar, der aufkommenden Problemen häufig mit schweigender Zustimmung aus dem Weg geht.
In der nachfolgenden Sequenz werden weitere Figuren der Gruppe eingeführt. Begbie, einer der wenigen Charaktere, die kein Heroin konsumieren, birgt ein enormes Gewaltpotenzial. Er fällt immer wieder sowohl verbal als auch körperlich über Fremde und seine Freunde – insbesondere Renton – her. Auch Sick Boy wird als klarer Antagonist inszeniert, sowohl aufgrund seines schädlichen Einflusses auf Renton als auch durch seinen ausgeprägten Narzissmus.
Dennoch zeigen sich auch bei ihm gelegentlich emotionale, verletzliche Seiten, insbesondere im Kontakt mit Renton.Alle treffen sich regelmäßig bei „Mother Superior“, der für die Gruppe eher als Drogendealer denn als Freund fungiert. Seine Wohnung ist stark verwahrlost; auch Allison wohnt dort mit ihrem Baby. Nach dem Erwachen aus einem Heroinrausch entscheidet sich Renton zu einem Entzug. Vorerst drogenfrei besucht er Tommy, neben Begbie der einzige aus dem Freundeskreis, der kein Heroin konsumiert. Tommy stellt den gesunden, moralisch gefestigten Teil der Gruppe dar: Er lügt nicht, betrügt nicht, hat eine feste Anstellung sowie eine Partnerin, betreibt regelmäßig Sport und versucht, Renton vom Heroin fernzuhalten. Durch Zufall entdeckt Renton ein privates „Sextape“ von Tommy und seiner Freundin, das er sich heimlich ausleiht, indem er es in einer anderen DVD-Hülle versteckt.
Seinen Sexualtrieb wiederentdeckt, geht Renton mit einigen seiner Freunde in einen Club, wo er Diane begegnet. Ihre Selbstsicherheit und Ausstrahlung faszinieren ihn, was schließlich – trotz ihrer ihm unbekannten Minderjährigkeit – zum Geschlechtsakt führt. Am nächsten Morgen, nach Bekanntwerden ihres Alters, möchte Renton den Kontakt abbrechen, woraufhin Diane ihm mit einer Anzeige droht, sollte er sich tatsächlich zurückziehen.
Zur gleichen Zeit versucht Tommy, das von Renton entwendete Sextape wiederzufinden. Als es unauffindbar bleibt, reagiert seine Freundin mit einem Nervenzusammenbruch und verlässt ihn.
Infolge dieser Ereignisse beschließen Renton, Spud und Sick Boy, erneut Heroin zu konsumieren. Auch der von der Trennung niedergeschlagene Tommy lässt sich – nach Zureden durch Renton – zu seinem ersten Schuss verleiten.
Einige Zeit später wird Mother Superiors Wohnung von dem lauten Weinen und Schreien Allisons geweckt, die ihr durch den Drogenkonsum vernachlässigtes Kind tot auffindet. Ihre erste Reaktion darauf ist ein erneuter „Schuss“ Heroin.In der darauffolgenden Sequenz werden Renton und Spud nach einem Diebstahl erwischt. Renton wird aufgrund seiner Teilnahme am staatlichen Methadonprogramm freigelassen, während Spud zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt wird. Dennoch verspürt Renton das Verlangen nach einem weiteren „Schuss“, den er von Mother Superior erhält. Dieser führt jedoch zu einer Überdosis, die Renton ins Krankenhaus bringt. Seine Eltern schließen ihn zu dem Zweck eines Entzugs in sein Kinderzimmer ein, wo er schwere Halluzinationen erleidet.Nach der Entgiftung macht Renton einen negativen HIV-Test. Tommy, trotz seiner kurzen Drogenkarriere, ist HIV-positiv. Renton besucht ihn in seiner stark verwahrlosten Wohnung. Zurück in seiner eigenen Wohnung erhält Renton unerwarteten Besuch von Diane, die ihn davon überzeugt, sein Leben zu ändern. Daraufhin zieht er nach London, findet einen Job als Immobilienmakler und beginnt, das nüchterne, drogenfreie Leben zu genießen.Unangekündigt ziehen zunächst Begbie, später auch Sick Boy, in Rentons Appartement, was seinem Leben erneut negative Züge verleiht. Als die Nachricht vom Tod Tommys eintrifft, kehren die drei nach Edinburgh zurück. Spud ist mittlerweile aus dem Gefängnis entlassen, und nach Tommys Beerdigung schmieden die drei einen Plan, Heroin nach London zu schmuggeln, um es gewinnbringend zu verkaufen. Im Begriff, ihren Erfolg zu feiern, gerät Begbie erneut in einen Wutanfall und verprügelt einen Barbesucher. Diese Eskalation führt dazu, dass Renton den Entschluss fasst, das gewonnene Geld zu stehlen und von nun an ein gesundes, drogenfreies Leben zu führen. Lediglich Spud hinterlässt er in einem Schließfach seinen Anteil.
Betrachtet man den Film Trainspotting in seiner Gesamtheit, fällt im Hinblick auf das Color Grading sowie die Wahl der Requisiten, des Kostümbilds und der Architektur zunächst der hohe Anteil an verwaschenen, trist anmutenden Pastellfarben auf (vgl. Abb. 5). Demgegenüber treten im Bildsujet immer wieder satte, kräftige Farbtöne auf, die jedoch vornehmlich in objektspezifischen Elementen zu finden sind (vgl. Abb. 6), ohne den gesamten Bildausschnitt auszufüllen. Letzteres lässt sich in Ausnahmefällen hauptsächlich durch eindrucksvolle Lichtstimmungen (vgl. Abb. 7) und die Bildszenerie selbst beobachten (vgl. Abb. 8). Der Maler Francis Bacon, der in seinen Werken häufig eine surrealistische Deformierung des menschlichen Körpers in beengte Innenräume einbettet, übt besonders in der Farbgebung von Trainspotting einen maßgeblichen Einfluss aus (vgl. Smith, 2021, S. 61). Gedeckte Varianten von Rot, Orange und Violett – Farben, die auch in Bacons Arbeiten dominieren (vgl. Abb. 1–4) – sind auch in Trainspotting prägend.
Eine solche Farbakzentuierung vereinfacht und unterstützt im Kontext des Films die Blickführung innerhalb einer Einstellung. Dies lässt sich teilweise durch die evolutionäre Entwicklung des menschlichen Gehirns erklären, wobei insbesondere die Farbe Rot die Aufmerksamkeit des Rezipienten fokussiert (vgl. Schmitz, 2017). Es ist jedoch anzumerken, dass Helligkeit und Sättigung eine weitaus größere Wirkung auf die Blickfokussierung haben als der reine Farbton selbst (vgl. Schmitz, 2017).Die Assoziationen, die eine Farbe beim Rezipienten hervorruft, sind in hohem Maße individuell und hängen von kulturellen Hintergründen, Umwelteinflüssen, persönlichen Erfahrungen sowie der Sprache ab (vgl. Schmitz, 2017). Eine völlig zuverlässige, von diesen subjektiven Faktoren unabhängige Steuerung der Farbwirkung auf den Rezipienten kann nur durch den gezielten Einsatz des kontextuellen Rahmens sowie durch die Nutzung evolutionär bedingter Wahrnehmungsmuster seitens des Filmschaffenden erreicht werden. Diese Steuerung kann beispielsweise durch die Differenzierung zwischen „diegetischem“ und „nicht-diegetischem“ Ton, narrative Kontextualisierungen oder den Einsatz von Kontrastfarben erfolgen, wodurch Farbe im Verlauf des Films zu einem integralen Bestandteil der narrativen Ebene wird.
Der stärkste visuelle Kontrast in Trainspotting – grün und rot – stellt einen bedeutenden Bestandteil der narrativen Ebene dar. Es ist jedoch anzumerken, dass nicht jeder farbige Gegenstand im Film zwangsläufig die Bedeutung dieses theoretischen Konzepts tragen muss. Dieser Farbkontrast ist eng verbunden mit dem bereits erwähnten Konflikt von Renton mit dem Slogan „Choose Life“ und basiert teils auf weit verbreiteten gesellschaftlichen sowie evolutionären Farbperzeptionen (vgl. Schmitz, 2017).Die Farbe Rot symbolisiert dabei Verführung, Tod, Drogen und Sex – all das, was Renton (und andere) von „Choose Life“ abbringt. Grün hingegen repräsentiert das Gegenteil: „Choose Life“, und steht somit für Nüchternheit, Gesundheit und Unschuld. Dieses Schema wird bereits in den ersten Minuten des Films klar etabliert. In der Sequenz bei „Mother Superior“ ist das Baby Dawn von grünen Wänden und Böden (Abb. 9) sowie einem unnatürlich grün schimmernden Fenster umrahmt. Diese Farben entsprechen eindeutig den zuvor beschriebenen Assoziationen zu „Choose Life“. Auf dem unter ihr liegenden Spielteppich ist in bunten Quadraten das gleiche Rot-Grün-Schema angelegt (Abb. 10). Das Baby befindet sich inmitten dieser Farbbereiche, geradezu im Begriff, einen der beiden Wege zu wählen – „Choose Life“ oder nicht –, obwohl es offensichtlich keinen Einfluss auf diese Entscheidung hat. Der Werdegang des Babys wird vielmehr von anderen getroffen.
Die Kamera wendet sich von Baby Dawn ab und schwenkt in das angrenzende Nebenzimmer. Dort, auf einem roten Teppich, befindet sich unter anderem Sick Boy, der dabei ist, der Mutter des Babys, Allison, ihren ersten Heroin-Schuss zu verabreichen. Eine halb auf dem Teppich liegende, rot karierte Decke umschließt wie ein wachsender Parasit das grüne Stuhlkissen und scheint somit symbolisch die letzte Hoffnung für das Baby zu nehmen (Abb. 11).
Am Ende der nachfolgenden Einstellung fällt Spud, in Nachwirkung seines Rausches, rücklings auf den Teppich zurück. Sein Kopf passiert dabei das grüne Kissen und bewegt sich in Richtung des „Choose Life“-Motivs (Abb. 12). Die beiden einzigen grünen Objekte (Kissen) im Raum befinden sich somit in einer klaren, indirekten oder direkten Interaktion.Im Anschluss, just in dem Moment, als Sick Boy das Heroin in Allisons Arm injiziert, wird durch einen kurzen Perspektivwechsel der zuvor rücklings liegende Bereich des Raumes sichtbar. Beide, Sick Boy und Allison, werden nun von einem tief roten Licht umhüllt, welches sie ähnlich einer Warnleuchte umgibt (Abb. 13). Dies symbolisiert den endgültigen, hypothetischen Weg von Allisons Baby, das sich vor die Tür rollt, in Blickrichtung auf das rote Zimmer, und somit weg von Gesundheit und Leben (Abb. 14).
Zur Unterstützung dieser Analyse lassen sich weitere Indizien im späteren Verlauf des Films heranziehen, insbesondere im Zusammenhang mit Rentons Drogenentzügen. „Mother Superior“, der Renton mit Heroin versorgt, ist in nahezu allen Szenen, in denen er erscheint, von tief rotem Licht seiner Küche umgeben (Abb. 15). Das große Fenster, das diffuses Licht erzeugt, lässt das gesamte Hinterzimmer gezielt und zweckgebunden in einem leuchtenden Schein erscheinen (vgl. Yot, 2020). Auch wenn die Drogenbeschaffung ohne ihn möglicherweise aus einer anderen Quelle erfolgen würde, trägt er durch sein eigenes Geschäftsinteresse maßgeblich zur fortwährenden Abhängigkeit der Gruppe bei. So versucht er Renton, als dieser von seinem beginnenden Entzug erfährt, weiterhin von einer weiteren Dosis zu überzeugen.
M.S.: „You need one more hit“
Renton: „No, I don´t think so“
M.S.: „For the long nicht that lies ahead“
Diese für eine charakterliche Einschätzung zentrale Aussage, in Verbindung mit dem Rot als Teil der narrativen Ebene, vermittelt dem Rezipienten von „Mother Superior“ ein klares Bild als Verursacher und Ursprung von Tod, Verführung und Drogen. Das Rot fungiert dabei nicht nur als visuelles Mittel zur Verstärkung der negativen Konnotationen dieser Figurenrolle, sondern wird auch zu einem narrativen Werkzeug, das die destruktiven Kräfte der Sucht und deren Auswirkungen auf die Charaktere symbolisiert.
Nach dem Verlassen von „Mother Superiors“ Wohnung schlendert Renton an einer von bunten Vorhängen und Rolläden gesäumten Plattenbaufassade entlang. Im Begriff der Entgiftung, welche sich durch das Auftreten von Diarrhö manifestiert, bleibt er verkrampft vor zwei grünen Fenstern stehen. Diese Szene symbolisiert Rentons Entscheidung für Nüchternheit und Gesundheit (Abb. 16). Ähnlich verhält es sich bei seinem zweiten Entzug: Nach der von „Mother Superior“ verabreichten Überdosis sinkt Renton – in einer beinahe begrabenen Haltung – in den roten Teppich (Abb. 17). In der anschließenden Szene wird Renton auf einer roten Liege in den Schockraum des Krankenhauses geschoben (Abb. 18). Die Färbung seiner Lippen lässt darauf schließen, dass er nur knapp dem Tod entronnen ist.
Nach Rentons Entlassung aus dem Krankenhaus holen ihn seine Eltern ab und schließen ihn in seinem Jugendzimmer ein (Abb. 19). Die Mutter trägt einen grünen Pollunder, der Schrank ist grün poliert und der Teppichboden ist ebenfalls grün. Diese visuellen Details sind erneut Zeichen für „Choose Life“, den Weg weg von den Drogen hin zur Gesundheit.
„The muted colors of heroin“
Die narrative Ebene in Trainspotting wird nicht nur durch den reinen Farbton, sondern auch durch die Sättigung, Helligkeit und Leuchtkraft der Farben unterstützt. Während die nicht-heroinsüchtigen Charaktere oft in satten, lebendigen Farben gekleidet sind (vgl. Kidron: 2021), tragen die „Junkies“ – jedoch immer im Zustand ihrer Berauschung – unauffällige, pastellfarbene Bekleidung (vgl. Kidron: 2021). Dadurch scheinen sie mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. Im aktiven Rauschzustand geht die Kleidung mit dem Charakter unter, wird fad, eintönig und verstummt inmitten einer Kulisse aus Zerfall und Verrottung. Dies wird besonders deutlich in den Einstellungen bei „Mother Superior“, wo die Kleidung der Charaktere stets nahezu identische Farbnuancen innerhalb des Bildausschnitts widerspiegelt. Ein Beispiel dafür sind das rosa T-Shirt von „Sick Boy“ und Spuds Pullunder (Abb. 20) oder Rentons und Spuds grüner Pullover (Abb. 21).
Als bestes Beispiel für diese Entwicklung lässt sich der Werdegang von Tommy heranziehen. Zunächst noch klar gegen Heroin eingestellt, trägt er satten Farben, die sich eindeutig vom Hintergrund abheben (Abb. 22). Gefrustet und deprimiert nach der Trennung von seiner Freundin, sucht er Renton auf, um Heroin zu probieren und bekommt anschließend seinen ersten „Schuss“. In der farblich mit seiner Bekleidung kontrastlosen Wohnung von „Mother Superior“ verschwindend, fällt er rücklings auf den Boden. Wie ein Stück totes Holz, das mit dem Waldboden verschmilzt, beginnt er langsam zu verrotten (Abb. 23). Dies setzt sich in der letzten Sequenz fort, in der Tommy offensichtlich dem Tod nahe ist. Nachdem er Renton die Tür geöffnet hat, verschwindet er zurück in seinem Bett, das Bildsujet ein einziges Verschmelzen verschiedener grau-, grün- und brauntöne (Abb. 24).In diesen Szenen (Abb. 22 - 24) ist bemerkenswert, wie sich nicht nur die Charaktere selbst in ihrer Drogenmisere verändern, sondern auch die gesamte Farbwirkung an Leuchtkraft und Farbvielfalt verliert. Besonders auffällig ist dies in der zweiten Sequenz des Films (Abb. 25), einem Fußballspiel, das geradezu vor Kontrasten und Sättigung strotzt – ein Zeitpunkt, an dem alle Beteiligten mehr oder weniger nüchtern und gesund erscheinen.
Trotz seines (bedingt durch ein geringes Budget von nur £1.7 Millionen (vgl. Murray, 2021, S. 9)) straffen Drehplans von nur 7 ½ Wochen, gelingt es Danny Boyle, mit Trainspotting (1996) ein höchst stilisiertes Filmerlebnis zu schaffen, das – untypisch für die damalige Filmlandschaft in Schottland – eher den amerikanischen als den europäischen Grundsätzen der visuellen Gestaltung und Narration folgt. Trotz der allgegenwärtigen Farbgestaltung fügen sich die Farbelemente nahtlos und unaufdringlich in den Film ein. Sie bilden somit einen Teil der Erzählstruktur, der zunächst nicht unbedingt bewusst hervortritt, aber subjektiv wahrnehmbar und bedeutsam ist.Während Trainspotting (1996) in vielerlei Hinsicht noch dem „Visual Vernacular“ zuzuordnen ist und durch Farben sowie Kameraperspektiven und -fahrten eine eigene, herausstechende Bildsprache entwickelt, hat Trainspotting 2 (2017) den Charme des „rough n’ ready style“ abgelegt. In seiner visuellen Gesamtheit wirkt er deutlich ordinärer und an den modernen Standardfilm angepasst. Gleichzeitig erscheinen in „Color Grading“ und Kameraperspektiven, im Vergleich zu Trainspotting (1996), einige Elemente leicht überambitioniert.Gerade die im ersten Teil noch so präsenten Farbelemente als Teil der Erzählstruktur sind mehr oder weniger verschwunden. Anzumerken ist jedoch, dass die immer wieder enorm übersättigten Farben, kombiniert mit einigen bühnenhaften, eher theatralischen Licht- und Bildstimmungen in bestimmten Sequenzen, dem Film einen ganz eigenen, neuen Charme verleihen. Diese Theatralik findet man beispielsweise in der Szene von Spuds Heimkehr in seine Wohnung, als er auf der Fensterbank kauernd zu sehen ist (vgl. Boyle, 2017, ab 01:04:12), in der Drogenszene (die Projektion einer Herde Pferde) (vgl. Boyle, 2017, ab 01:12:51) oder auch im finalen Kampf zwischen Renton und Begbie (vgl. Boyle, 2017, ab 01:41:26).Obwohl der hohe Anteil an grünen und roten Farben immer noch deutlich wahrnehmbar ist, scheint sich der Kontrast in seiner Bedeutung verändert zu haben. Grün steht nicht mehr in erster Linie für Gesundheit und Nüchternheit, sondern eher für ein Erinnern an und Aufarbeiten der Vergangenheit.